Hans Martins Bastelseiten
Mein privater kleiner Teilchen-Beschleuniger Ich habe immer meine Berufskollegen bewundert, die am LHC des CERN in Grenoble oder am Linear Accelerator Center in Stanford auf die Suche nach den elementaren Bausteinen der Materie gehen durften: Quarks, W- und Z-Bosonen, das Higgs-Teilchen sind nur einige Beispiele, deren Nachweis immerhin mit Nobel-Preisen gewürdigt wurde. Als einfacher Festkörper-Physiker hat man diese Option nicht. Natürlich gibt es auch hier wahnsinnig interessante Dinge zu finden. Da will ich mich nicht beklagen. Doch so einen Teilchen-Beschleuniger hätte ich auch ganz gern, wenn auch gewiss im Kleinformat. Selbstverständlich habe ich sofort an Elektronenröhren gedacht. Nicht anders als an einem echten Beschleuniger gibt es hier eine Vakuumstrecke, in die elektrisch geladene Teilchen - Elektronen - entlassen und dann beschleunigt werden, um schließlich mit einem anderen Objekt - der Anode - in Kollision gebracht werden. Allerdings fragte ich mich, was denn bei dieser Kollision Interessantes passieren soll. Entstehen irgendwelche quantenmechanischen Teilchen? Und wenn ja, wie weise ich diese nach? Und bei welcher Beschleuniger-Energie, sprich Anodenspannung, soll ich suchen? Ein W-Boson hat eine Energie von 100 Megaelektronenvolt. Schön, aber 100 Milionen Volt Anodenspannung schienen mir für den Anfang doch etwas zu ambitioniert. Oder Röntgenstrahlen ? "Unter 10 Kilovolt kannst Du das vergessen", hat mir ein erfahrener Kollege gesagt. Schwierig! Auf etwas Radioaktives hatte ich ohnehin keine Lust. Dann hatte ich die Lösung. Um es gleich zu sagen: besonders interessante Kollisions-Experiment mit Röhren und Elektronen gibt es bei besonders niedriger Anodenspannung, bei unter 30 Volt. Das ist allemal einen Versuch wert. Low Energy Electron Diffraction, kurz LEED, ist das Zauberwort. Im den feinen Details des Anodenstrom der Röhre lassen sich die quantenmechanischen Energien der Elektronen im Anodenblech erkennen: Fermi-Energie, Austrittsarbeit sowie die sogenannten Plasmonen, die Quanten der Ladungsdichte-Wellen im Fermi-See, die für die Sekundäremission sorgen. Dazu später mehr. Ein Oszi wird gebraucht und ein paar Stromquellen. Der sonstige Schaltungsaufwand ist denkbar gering. Letzte Änderung: 18.4.2024 |
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2.11.16: Erste Versuche: eine EF 184 am Kennlinienschreiber 11.11.16: Die Selbstbaulösung: mit EL 34 und Eisenbahntrafo |
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Mein erster Teilchenbeschleuniger EF 184 und EF 183, zwei Pentoden aus dem TV-ZF-Verstärker, eignen sich vorzüglich für unseren Versuch. Dazu müssen sie als Tetrode geschaltet werden.
Unser Experiment funktioniert wie die Messung einer Röhrenkennlinie, und zwar derjenigen des Negadyns, siehe Schaltplan. Hierbei wird eine Pentode verwendet und als Tetrode geschaltet ist. Schirm- und Bremsgitter werden gemeinsam an eine hohe Spannung gelegt. Diese beiden sehr stark positiv geladenen Gitter sollen Sekundärelektronen, die aus der weniger positiven Anode herausgeschlagen werden, absaugen. Der Anodenstrom Ia wird nun als Funktion der Anodenspannung Ua gemessen. |
Die Suche nach den Events
Die Tetrodenkennlinie einer EF 184 besteht aus mehreren
Teilabschnitten: Auf einer Ausschnittsvergrößerung der Kurve im Bereich von Anodenspannungen von 0 bis 30 V kann man sich die "Welligkeit" genauer ansehen. Ich habe hierzu den Anodenstrom der EF 184 mit einer erhöhten Auflösung der Anodenspannung von 0,1 V bei einer Schirm- und Bremsgitterspannung von 200 V gemessen.
Hier der Schirm- und Bremsgitterstrom, bzw. seine Ableitung nach der Energie. Das Diagramm zeigt die gleichen Strukturen invertiert, da an der Anode emittierten die Sekundärelektronen alle genau hier, am positivsten Punkt der Röhre, ankommen. Die Struktur erscheint klarer, wenn man die erste Ableitung des Anodenstroms nach der Anodenspannung ausdrucken läßt. Die Spannungsachse gibt die Energie der Primärelektronen in Elektronenvolt in eV an. Die an sich mehr oder weniger sanft gekrümmte Anodenstromkurve weist zwei markante "Zacken" auf, die wegen der Ableitung deutlich hervortreten. In der dIa/dUa-Kurve entsprechen die Wendepunkte den Maxima dieser Zacken auf der Energieachse: Die übrigen kleinen Schwankungen erweisen sich als Störungen, die sich bei weiteren Messungen nicht zuordnen lassen. Bei höheren Energien jenseits von 30 eV führt ein einfallendes Elektron mehrere Stöße aus. Die LEED-Strukturen verschwimmen dann miteinander. Die Anzahl der erzeugten Plasmonen und daher der Sekundärelektronen wächst proportional zur Energie des einfallenden Primärelektons an. Das ist der lineare fallende Bereich der Tetrodenkennlinie. |
Energieschwellen = Wendepunkte der Messkurve Wieso kann man an den Wendepunkten der dIa/dUa-Kurve die Energieschwellen für Stoßprozesse identifizieren ? Das ist ein alter Trick aus der Spektroskopie: wenn die Energie Ea = e Ua des Elektrons genau einer solchen Schwelle bei E1 = e U1 entspricht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es seine Energie überträgt, besonders groß. Infolgedessen hat der Sekundärstrom einen wenn auch schwach ausgeprägten "Peak", d.h. ein, lokales Maximum, der Anodenstrom ein Minimum, etwa von der Form einer Gaußschen Glockenkurve:
Hierbei sind Iprim der Primärstrom, I1 die Amplitude des Sekundärstrom-Maximums, des aus solchen Stößen resultiert, und ΔU1 die Breite des Absorptionsmaximums. Man sieht, an der Energieschwelle nimmt der Anodenstrom gegenüber dem Normalwert um den Betrag I1 ab. Um zu zeigen, dass die dIa/dUa-Kurve exakt bei Ua = U1 einen Wendepunkt hat, bilden wir einfach die dritte Ableitung d3Ia/dUa3: Der erste Term hat bei Ua = U1 tatsächlich eine Nullstelle, und zwar die einzige in der Umgebung des Peaks. Womit die Sache bewiesen ist: die genaue Höhe der Energieschwelle kann man am Wendepunkt der Strom-Spannungskurve ablesen (und nicht etwa in einem Maximum oder Minimum). |
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Weiterführende Literatur [1] L. Austin, H. Starke, Ueber die Reflexion der Kathodenstrahlen und eine damit verbundene neue Erscheinung secundärer Emission, Ann. Physik 9, 27 (1902) [2] E. M. Baroody, A Theory of Secondary Electron Emission from Metals, Phys. Rev. 78, 780-787 (1950) [3] R. E. Simon, B. F. Williams, Secondary Electron Emission, RCA Electronic Components, David Sarnoff Research Center, 167-170 (1968) [4] S. Andersson, Plasma Thresholds in the secondary electron yield - I. experiment, Solid State Commun. 11, 1401-4 (1972) [5] S. Anderson, B. Kasemo, Low-Energy Electron diffraction intensities from the clean Nickel (100) Surface, Surface Science 25, 273-288 (1971) [6] M. S: Chung, T. E. Everhart, Role of plasmon decay in secondary electron emission in the nearly-free-electron metals. Application to aluminum, Phys. Rev. B 15, 4699-4715 (1977) [7] J. P. Ganachaud, M. Cailler, A Monte-Carlo Calculation of the secondary electron emission of normal metals, Surface Science 83, 498-518 (1979) [8] V. Temnov, U. Woggon, Nanoplasmonik in Hybridstrukturen, Physik-Journal 9 (6), 45-50 (2010) |
Klappt es auch mit anderen Röhren? 1.) Der LEED-Versuch klappt mit nahezu allen gängigen Pentoden. Voraussetzung ist, dass das Bremsgitter nicht intern mit der Kathode verbunden ist: EF 80, 86, 89, EL 80, EL 34, 6L6GC wären weitere Typen, die mir spontan einfallen. EL 84, EL 95, PL xx und 6V6GT scheiden wegen ihres fest verdrahteten Bremsgitters dagegen aus. 2.) Ich hatte zur Aufnahme der Kennlinien zwei Source Meter Units vom Typ Keithley 2400 und Labview zur Verfügung sowie ein paar tüchtige E-Technik-Studenten der TU Darmstadt. Hat nicht jeder. Die Datenauswertung habe ich mit Origin(R) gemacht. Dieser für den Bastler unübliche Aufwand macht die Arbeit zwar äußerst bequem und präzise, aber fürs Prinzipielle ist das purer Overkill. Mit Oszi, einem Trafo mit 20 bis 40 V Ausgangsspannung für die Anode sowie einer Stromquelle für die 200 V Schirmgitterspannung sieht man alles ganz genau so gut wie hier. Ein digitales Oszi ist natürlich praktisch, damit man die Messdaten zum Beispiel in MS-Excel laden und dort analysieren kann. 3.) Ich habe ein wenig Literatur aus wissenschaftlichen Zeitschriften gesammelt. Ich habe das vor allem deshalb getan, um einen Vergleich zwischen den hier gezeigten Kurven und den dort besprochenen LEED-Spektren zu ermöglichen. Daher habe ich eine Bitte: beim Aufschlagen nicht erschrecken! Im Detail steckt hinter Elektron und Plasmon wie auch hinter der Technik der Elektronenröhren selbst hammerharte Quantenmechanik |
Die Schaltungsvariante mit Oszilloskop und ohne aufwändigen Kennlinienschreiber |
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Eine dicke Leistungspentode...
Eine EL 34 wollte ich auch mal unter die Lupe nehmen. Das Verhalten ist im Detail, aber nicht grundsätzlich von dem der EF 184 verschieden. Kein Wunder: die Anode besteht ebenfalls aus Nickelblech. |
Der neue Messaufbau
Der Versuchsaufbau: Den Anodenstrom erzeugen wir nun mit einem 16-Volt-Trafo von der Spielzeugeisenbahn. Mit der Diode entfernen wir zunächst die negative Halbwelle. Den Anodenstrom messen wir dann über den Spannungsabfall am eingezeichneten 150-Ohm-Widerstand. Die Meßspannung wird mit der Kombination aus 18-nF-Kondensator und 1-K-Widerstand auf analogem Wege zeitlich differenziert. Der Meßverstärker setzt das Niveau des Signals dann auf einige Volt herauf. Erst jetzt wird das Signal vom Oszi (falls es nicht ein analoges mit Kathodenstrahlen ist) digitalisiert. Das ist messtechnisch sehr viel günstiger. Die übrigen Stromquellen sind für Schirmgitter (200 V) und Steuergitter (0...-30 V). Über die Steuergitterspannung wird der Schirmgitterstrom auf wenige mA eingestellt. Wichtig: alle Masseanschlüsse solten an einem Punkt zusammenlaufen, nämlich an der Eingangsmasse des Meßverstärkers. Das reduziert die Störspannungen erheblich. |
Ein kleiner Verstärker verbessert die Auflösung Als Messverstärker verwende ich einen sehr bewährten, zweistufigen Triodenverstärker mit einer ECC 83. Die Verstärkung ist ziemlich genau auf 1000:1 eingestellt, also auf 60 dB. Dies wird mittels Gegenkopplung des Ausgangssignals auf die Kathode der ersten Triode erreicht. Dazu dient die Kombination aus den Widerständen mit 390 kΩ und 220 Ω, die einen Spannungsteiler bilden. Das Gitter der ersten Triode wird mit dem 1-kΩ-Widerstand im Differenzierglied der Messschaltung verbunden. Zwischen 20 Hz und 40 kHz ist die Verstärkung relativ konstant. Die Betriebsspannung wird aus dem 200-Volt-Netzteil bezogen, das auch Schirm- und Bremsgitter der getesteten Pentode versorgt. Der Schaltplan
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Das differenzierte Messsignal
Schon das erste Oszillogramm zeigt den Effekt: Kanal 1 (oben) zeigt die positiven Hälften der 50-Hz-Sinus-Spannung, die der Eisenbahntrafo an die Anode liefert. Es hat 35 V in der Spitze. Kanal 2 (unten) zeigt das differenzierte und verstärkte Signal des Anodenstroms, das am Ausgang des Verstärkers erscheint. Die hohen Spannungsspitzen am Anfang und Ende der Halbwelle ignorieren wir und zoomen uns mit dem Oszilloskop in die feinen Details, die dazwischen nahe der Nulllinie zu sehen sind. Auswertung: Wir vergleichen diese feinen Strukturen mit den jeweiligen Anodenspannungen. Es empfiehlt sich, am Oszilloskop mit der "Aquire"-Option über eine gewisse Anzahl von Perioden des Signals zu mitteln. Dadurch lassen sich Rauschen und Störungen stark reduzieren. Das Nutzsignal, die Spuren des Elektronenaufpralls auf dem Anodenblech, die mit den Energieschwellen zusammenhängen, treten jedoch hervor. |
Plasmonen am Fuß der Messkurve
An der ansteigenden Flanke der Halbwelle aufgenommen: Ich habe die Impulse des Sekundärstroms aus Kanal 2 mit farbigen Linien markiert und mit den Anodenspannungen aus Kanal 1 verbunden, die den verschiedenen Streueffekten mit Plasmonen und anderem entsprechen könnten. Die Wendepunkte der Messkurve erscheinen genau dann, wenn die Anodenspannung bei 6, 9.5, 12.5, 16 und 19 Volt liegt. Dis auf einen kleinen Versatz und den Wendepunkt bei 9.5 V stimmt das gut mit der Kurve rechts im Bild überein. |
...und hier wieder in der abfallende Flanke der Kurve An der abfallenden Flanke ergibt sich logischerweise ein spiegelbildliches Signal. Die Wendepunkte liegen bei etwa 5.2, 12.0, 14.4, 18 Volt. Bei den ersten beiden handelt es sich wieder um die Austrittsarbeit und die Plasmonenresonanz. Die beiden höheren Werte entsprechen vermutlich Sekundärelektronen, die Energie von gleich zwei oder mehr Plasmonen erhalten haben. Es könnte natürlich auch sein, dass es noch andere Übergänge mit Elektronen gibt. Diese Messung beweist ferner, dass die Welligkeit des Messsignals keine simple Nachschwingung im Signalverlauf ist, sondern tatsächlich eine Abhängigkeit der momentanen Anodenspannung zeigt. |
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Hans Martin Sauer, 2016-2024 |