20 Jahre sauerampfer-online
Herzlichen Glückwunsch zum Zwanzigsten! Vor zwanzig Jahren, am 1. September 2003, ging saueramper-online ans Internet. Da kann man schon auf etwas zurückblicken. Manu Löffler, meine Koautorin seit 2006, hat beim Aufräumen bei mir zu Hause einen Aktenordner mit den Ausdrucken der damaligen Seiten gefunden und mich zur Rede gestellt. Sonst hätte ich das Jubiläum sicher vergessen. Mein Gott, waren das damals Zeiten! Alles ist seitdem in stetiger Bewegung, aber das ist der Zweck des Internets. Ich wünsche Ihnen, Manu und mir, dass die Neugier, die Quelle von sauerampfer-online, auch kommenden 20 Jahre dieser Seiten zu füllen vermag. Hans Martin Sauer, Darmstadt, 17.9.2023 ML: Sag mal, das habe ich eigentlich nie verstanden, wie kommt jemand wie du auf die Idee, eine eigene, private Internetseite zu erstellen? Wie ging es los? HMS: Ich bin 2001 als Absolvent mit dem Doktorgrad in Physik in ein namhaftes Unternehmen in Darmstadt eingetreten. Das war für mich eine neue Welt, aber dann auch eine großartige Erfahrung. Es war stressig, für einen wie mich, der das kontemplative Leben gewohnt war. Terminprojekte, Dienstreisen, Tagungen, immer mit einem Fuß auf dem Bahnsteig, mit einer Hand am Steuer des Autos. Wie Figaro, der Barbier von Sevilla, Figaro hier, Figaro da. Viele Geschäftskunden schätzen ruhige Typen als Gesprächspartner, die zuhören können und knappe Lösungen vorschlagen, naheliegend und durchführbar! Ich hatte die Visitenkarten von tausend Leuten. Das war wichtig, nur so bekommt man ein Gespür. Doch darunter war niemand aus Darmstadt. War vielleicht auch gut so. An den Wochenenden konnte ich lange ausschlafen. Abends dann habe ich zu Hause gekocht, zuerst allein, in himmlicher Ruhe. Ich habe feine Sachen ausprobiert. Das war und ist Entspannung pur. Ich habe die Rezepte aufgeschrieben und per Mail an ein paar Freunde rumgeschickt. Das wurde dann zuviel! Dann habe ich rationalisiert. Bin ja Rationalisierer von Beruf, so sehe ich mich. Einer, der das Leben bequem und einfach macht. Habe meine elektrische ORAL-B-Akkuzahnbürste statt mit der Ladestation schon mit einem Röhrensender aufgeladen. Dann hatte ich mit meinem Telefonanschluss diesen privaten Homepage-Account bei T-Online. Da ich dafür bezahlte, wollte ich auch, dass er etwas tut. Ich habe mir das Buch HTML und das World Wide Web gekauft -- übrigens noch für Deutsche Mark -- und habe mich an die Arbeit gemacht: www.sauerampfer.t-online.de, wie das Gartenkräutchen. Da habe ich nach und nach Rezepte eingstellt, wo sie jeder, der mich kannte, herunterladen konnte. Google war damals noch ein Gartenzwerg, da fand man mich nicht. Der Punkt und das "T" sind dann irgendwann aus dem Namen entfernt worden. ML: sauerampfer-online war eine reine Kochrezepte-Seite? HMS: Ja! Übrigens nicht zu verwechseln mit www.sauerampfer.de. Das war damals eine ganz bekannte, etablierte Kochseite. Ich glaube, sie ist irgendwann eingestellt worden. Ein Sauerampfer-Foto war bei mir ganz oben auf der Seite. Jedenfalls gab's bei mir die kalte und warme Küche eines Junggesellen, die wahre Natur eines akademisch-biederen Wissenschaftlers. Die Kollegen haben gegrinst, aber sie haben es gelesen, nachgemacht und offenbar auch gut verdaut. Es hat sich jedenfalls keiner deshalb krank gemeldet. Ein paar der ersten Rezepte sind noch heute in unserer Sammlung. Man erkennt diese Sachen am altmodisch verspielten Staroffice-Design. ML: Und dann kam die Röhrenbastelei dazu. Das ist doch ganz untypisch! Bastelradio und Bratpfanne, wie geht das zusammen? HMS: Natürlich habe ich sonntags nicht nur Küchenrezepte ausgearbeitet. Ich war auch im Internet unterwegs, in technischen Foren aktiv. Zum Beispiel auf den Elektronik- und Röhrenseiten von Burkhard Kainka, oder in Jogis Röhrenbude. Das war damals total in! Ich habe ja für die Industrie ganz lange Elektroentwicklung gemacht und Patente geschrieben. Diese Sachen sind natürlich vertraulich und tabu. Darüber schreibe ich privat nichts. Aber mit Elektronenröhren ist das ganz anders. Damit kann man in der Wirtschaft keinen Blumentopf mehr gewinnen, jedenfalls nicht dort, wo ich tätig war. Und es hat den Reiz des Einfachen und spontanen Improvisierens. Aus dem Kopf geht die Idee direkt in die Spitze des Lötkolbens. So kamen dann die ersten Seiten zu sauerampfer-online, einen Detektor basteln, oder ein Audion. Übrigens ginge das heute gar nicht mehr, denn der analoge Rundfunk ist tot. Niemals mehr wird ein Junge zwischen 10 und 40 Drähte im Garten spannen, globige Drehkondensatoren löten, und gespannt an einem magnetischen Hörer lauschen, ob er SR1 auf 1421 kHz oder HR-Info auf 594 kHz reinkriegt. Damals ging das noch. Kochen und Röhren, das gepflegte Sonntagnachmittagsprogramm schlechthin! Nicht jede Schaltung in meinem Labor war ein Erfolg. Ich erinnere mich an diesen Verstärker aus zwei EL84, der die Elektronik revolutionieren sollte. Denkste! Ich habe lange daran gearbeitet. Ich veröffentliche grundsätzlich nur das, das auch beim zweiten Versuch mit anderen Zutaten noch gut ist, ob Rezept oder Röhenschaltung. Das Neue und Tolle an meiner Internetseite war, dass ich Rückmeldung bekam von anderen Elektronik-Bastlern, darunter auch echte Fachleute. Aber auch von jungen Menschen, von Schülern und Lehrern, die im Physikunterricht kleine Elektronikprojekte machten. ML: Dürfen wir denn auf noch weitere Themen hoffen, denen sich sauerampfer-online annimmt, und welche sind das? HMS: Damit rechne ich fest. Zum Beispiel haben wir jetzt sogar eine Literaturabteilung mit Kurzgeschichten. Doch ich habe keinen festen Plan in der Schublade. Es hängt davon ab, wie sich bestimmte Themenbereiche entwickeln, auf wieviel Interesse sie stoßen, wie die Rückmeldungen sind. Kochen -- Röhren -- Literatur sind für mich keine statischen Kategorien. Das siehst du am Röhrenbasteln. In den vergangenen Jahren sind eine Menge Projekte hinzugekommen, die über das klassische Basteln deutlich hinausgehen. Ich sehe diese Sparte heute als einen Zugangspunkt für junge, technikinteressierte Menschen, die Ideen für eigne kreative Bastelprojekte suchen. sauerampfer-online ist zu einer Wissensbasis geworden. Aus demselben Grund habe ich meine Seiten in die SAUER-MEDIA.net eingebettet. Dieses Label ist thematisch viel breiter angelegt. Neben Röhren gibt es nun viele Projekte mit Halbleitern und physikalischen Experimenten wie zum Beispiel über Schwingungen, Wellen oder Teilchenphysik. Ich habe die E-Reports eingeführt, wo technische Hintergründe in größerer Tiefe vorgestellt werden. Ein Beispiel ist das Thema Chaos. Hier gibt es im Internet schon viele ausgezeichnete Seiten, die aber zumeist in englischer Sprache gehalten sind. sauerampfer-online versucht hier die Sprachhürde überwinden zu helfen und möchte dazu beitragen, dass sich auch in Deutschland junge Menschen für einen technisch-wissenschaftlichen Berufsweg entscheiden. So wie ich selbst es einst tat und wieder tun würde. Ich möchte unserer Gesellschaft etwas zurückgeben, das auch mir als jungem Mann anhaltende Motivation vermittelt hat. ML: Hat die Corona-Pandemie großen Einfluss auf die Entwicklung gehabt? HMS: Oh ja, und zwar den bestmöglichen, SAUER-MEDIA.net zählt zu den ersten Corona-Gewinnlern! Offenbar hat das Homeoffice viele Menschen wieder zum Kochen und Basteln angeleitet, Dinge, die man in den eigenen vier Wänden ohne große Einstiegshürde tun kann, zumal wenn der Chef nicht wie im Büro hereinschneien kann, die aber alle Sinne befriedigen. Das ist der Unterschied zu Smartphone, Zoom und Teams. Virtuelle Kommunikation geht ins Auge, sie erzieht nicht die Hand und nicht den Gaumen! Die Anzahl der Besucher ist in den Jahren ab 2020 sprunghaft von 5000 auf 7000 pro Monat angestiegen. Ganz viele auch im nicht-deutschsprachigen Ausland, in den Niederlanden, Schweden, den USA. ML: Danke für das offene Gespräch. |